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Wie David gegen Goliath
Im Januar 1970 ging im westafrikanischen Biafra eine der schlimmsten Hungerkatastrophen der neueren Geschichte zu Ende. Über die größte Versorgungsoperation mit Flugzeugen seit der Berliner Luftbrücke sind bis zu diesem Zeitpunkt zehntausende Tonnen Lebensmittel eingeflogen worden. Ein schwedischer Aristokrat, Abenteurer und Philanthrop versuchte auf seine Weise zu helfen.
Von Robert Kluge
Ein glühendheißer Tag, High Noon am 22. Mai 1969. Eine kleine Staffel von fünf Sportflugzeugen nähert sich der westafrikanischen Hafenstadt Port Harcourt. Am Steuer sitzen zwei Afrikaner und drei Europäer, das Kommando hat der 59jährige schwedische Graf Carl Gustaf von Rosen.
Doch es ist kein harmloser Übungsflug: Alle Maschinen sind mit je zwölf ungelenkten Raketen bewaffnet, und ihr Ziel ist der nahe gelegene nigerianische Luftstützpunkt. Hier sind etliche Jagdbomber sowjetischer Bauart stationiert, deren Söldnerpiloten seit Monaten die Luftbrücke zum Dschungelflugfeld von Uli bedrohen. Wir befinden uns inmitten eines undurchsichtigen Stellvertreter-Krieges der Sechziger, und von Rosens Truppe fliegt ihren ersten Einsatz für Biafra.
Wer war Carl Gustaf von Rosen?
1909 geboren fand Carl Gustaf schnell einen „Draht“ zur Fliegerei. Sein Vater Eric, wie sein Landsmann Sven Hedin ein berühmter Forschungsreisender und Ethnograph, der 1911 ganz Afrika von Kapstadt bis Kairo auf dem „längsten Spaziergang der Welt“ durchwandert hatte, war sehr vielseitig interessiert und hatte schnell die große Rolle erkannt, die der Fliegerei zukommen würde. Im Winter 1920, als aufgrund eines Schneesturmes die Zugverbindungen zum Erliegen gekommen waren, griff er auf die Dienstleistung eines deutschen Piloten zurück, um sich von Stockholm auf den hundert Kilometer entfernten Familiensitz Rockelstad bringen zu lassen.
Der Pilot war Hermann Göring, der sich bei dieser Gelegenheit in Karin Fock, die Schwägerin Eric von Rosens verliebte, mit der er dann bis zu ihrem frühen Tod 1931 (in Stockholm) verheiratet war und nach der er sein berüchtigtes Jagdschloß „Carinhall“ benannt hat.
Carl Gustaf wurde mit 23 Jahren Schwedens jüngster Fluglehrer und brillierte mit halsbrecherischen Kunstflugvorführungen. Gleichzeitig entwickelte sich sein Interesse für Politik, als er vom Schicksal Äthiopiens erfuhr, das gerade von italienischen Truppen brutal überfallen worden war.
Er flog unter großer Gefahr Medikamente und Ärzte in die Berge. Der Widerstand brach jedoch bald zusammen, und von Rosen, inzwischen in zweiter Ehe mit einer holländischen Flugbegleiterin verheiratet, zog nach Amsterdam und flog für die KLM.
Ein mehr oder minder geregeltes Leben als Flugkapitän jedoch stellte für ihn keine Herausforderung dar - ganz im Gegensatz zum überall aufkeimenden Widerstand unterdrückter Völker gegen deren jeweilige Fremdherrschaft. 1939 tat sich mit dem sowjetisch-finnischen Winterkrieg ein neues Betätigungsfeld für den Abenteurer auf.
Er sammelte zunächst wieder Geld, diesmal für zwei Jagdflugzeuge und einen alten Douglas-Transporter. Letzterer wurde zum Behelfsbomber umgerüstet und vom jungen Grafen höchstselbst tief ins russische Hinterland manövriert, um aus der Luft mit einigem Erfolg Eisenbahnlinien zu attackieren. Den Krieg verloren die Finnen trotz der informellen schwedischen Unterstützung, und von Rosen wollte nun endlich zu seiner Frau nach Holland zurückkehren. Vorher jedoch traf er in Berlin Hermann Göring.
Zwei Wochen vor Beginn des Krieges gegen Holland warnte ihn dieser dringend vor der Weiterfahrt dorthin - was Carl Gustaf jedoch wenig beeindruckte, wie das Verhältnis der von Rosens zu ihrem emporgekommenen Verwandten ohnehin nie spannungsfrei gewesen ist. Kaum vier Tage war er in Amsterdam, als der Motorenlärm deutscher Bomber den Himmel erfüllte.
Geistesgegenwärtig eilte er zum Flughafen und rollte mit einigen Kollegen eine DC-3 aus ihrem Hangar. Schwer beladen mit Dokumenten starteten von Rosen und der KLM-Chefpilot und es gelang ihnen, die Maschine wohlbehalten nach England zu steuern. Für den Rest des Krieges pilotierte der Graf Kurierflugzeuge der schwedischen Staatslinie auf der Strecke Stockholm-Berlin.
Nach 1945 zog es von Rosen erneut nach Äthiopien, dessen Bewohner und Landschaft ihm bei seinem ersten Aufenthalt bereits ans Herz gewachsen waren. Für Haile Selassie baute er eine schlagkräftige Luftwaffe auf und wurde ihr Oberkommandeur.
Eine wirkliche neue Herausforderung fand der engagierte Kämpfer für Gerechtigkeit nach Beendigung seiner zehnjährigen Zeit in Äthiopien zunächst nicht. Von Rosen flog als Pilot der schwedischen Chartergesellschaft Transair Touristen, Fracht und Zootiere. Der Kontakt zum Schwarzen Kontinent sollte für den Berufsabenteurer dabei nie abreißen.
Während des Kongo-Konflikts wäre von Rosen im September 1961 der Kapitän der DC-6 „Albertina“ gewesen, die UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld zu den angesetzten Verhandlungen mit Moise Tschombé ins rhodesische Ndola hätte bringen sollen, wenn er nicht dienstlich verhindert gewesen wäre. So wurde sein Kollege Per Hallonquist als Pilot wie alle anderen Insassen der „Albertina“ Opfer des bis heute ungeklärten Absturzes.
1968 wurde Biafra zu seiner vorletzten großen Herausforderung. Nach der Kapitulation im Januar 1970 flog der Graf ab 1974 in Äthiopien wiederum mit kleinen Maschinen Hilfsgüter in Hungergebiete. Er kam 1977 bei einem somalischen Feuerüberfall im äthiopisch-somalischen Grenzgebiet ums Leben. Bis heute gilt Carl Gustaf von Rosen in seiner schwedischen Heimat und in Äthiopien als Volksheld.
Einsatz für Biafra
Der brutale knapp dreijährige Konflikt zwischen der Provinz von der Größe Bayerns und der seit 1963 unabhängigen nigerianischen Zentralgewalt hatte seinen Ursprung vordergründig in unterdrückten Stammesrivalitäten. Allerdings ließ der Rohstoffreichtum des Gebietes eigenartige Allianzen entstehen: Inoffizielle Unterstützung wurde Biafra durch Frankreich und Israel zuteil, während die Zentralregierung in Lagos auf diskrete Hilfe aus Großbritannien und der Sowjetunion bauen konnte – waren die einen am Ölreichtum des Landes interessiert, so wollten die anderen allgemein ihren Einfluß in Afrika vergrößern.
Biafra wurde vom Stamm der Igbos dominiert, und nach Pogromen in anderen Landesteilen hatten sich Anfang 1967 Tausende von ihnen in ihr Heimatgebiet geflüchtet. Dessen Gouverneur und späterer Präsident Ojukwu hatte bereits im Vorfeld heimlich Waffen beschafft, um damit der Unabhängigkeitserklärung am 30.5.1967 Nachdruck zu verleihen.
Das Arsenal Ojukwus war jedoch in der Regel veraltet, und so war es kein Wunder, dass die vorwiegend von Söldnern geflogenen nigerianischen MiGs schnell die Lufthoheit gewannen und Biafra vom Nachschub abgeschnitten werden konnte. Bis Mai 1968 büßte die Provinz ein Drittel ihres Territoriums, die Hauptstadt Enugu und den Hafen Port Harcourt ein, über den neben Lebensmitteln und Waffen auch das einzige Handelsgut Erdöl verfrachtet wurde.
Währenddessen waren die Medien weltweit voll von Bildern mit vom Hunger gezeichneten Kindern mit großen Augen und aufgeblähten Bäuchen. Über eine beispiellose Luftbrücke flogen nun von Hilfsorganisationen gecharterte Frachter bis zu 500 Tonnen Hilfsgüter pro Nacht ein, insgesamt 81.000 Tonnen bis Ende 1969. Die Gefahr des Abschusses durch die Nigerianer war allgegenwärtig, so dass sich im August 1968 trotz hoher Prämien kaum noch Piloten für die gefährlichen Flüge melden. Freiwilliger Blockadebrecher wird ein Pilot der schwedischen Transair (im Einsatz für die deutsche Caritas), Graf Carl Gustaf von Rosen. Schließlich erkennt er jedoch, dass die Versorgungsflüge allein das Überleben der Kinder nicht sichern können, da es immer wieder zu Luftüberfällen auf zivile Lager kommt.
Geburt der „Biafra Babies“
Von Rosen fasst daher einen tollkühnen Plan, um die Luftbrücke zu sichern. In seiner Heimat kauft er fünf Kleinflugzeuge und lässt sie in Frankreich mit je zwei Raketenwerfern ausstatten. Die Maschinen gelangen nach Gabun, dessen Regierung als eine von wenigen Biafra diplomatisch anerkannt hat. Hier werden die nun als „Minicoins“ oder „Biafra Babies“ bezeichneten Flugzeuge zusammengesetzt und mit Autolack grün getarnt.
Geflogen werden sie von drei Schweden und zwei biafranischen Piloten. Bereits die Überführung zu einem Feldflugplatz in Biafra wird am 22.5.1969 für einen ersten völlig überraschenden Einsatz gegen Port Harcourt genutzt. Mehrere Kampfflugzeuge können am Boden zerstört oder beschädigt werden. Vier weitere Angriffe gegen militärische Ziele folgen kurz nacheinander unter Beteiligung des Grafen.
Von Rosen ließ die Minicoins ganz bewußt nicht mit Splitterwaffen einsetzen, um Personenschäden möglichst gering zu halten. Die Piloten stiften bei den Einsätzen heillose Verwirrung und setzen manches Kampfflugzeug außer Gefecht. Wichtiger jedoch als der materielle Schaden, der den Truppen der nigerianischen Zentralregierung zunächst ohne eigene Verluste zugefügt werden konnte, war die positive moralische Wirkung auf die verzweifelten Biafraner sowie das erzeugte internationale Aufsehen. So stiegen die Versicherungsprämien für Öltanker aus Nigeria, was manches Geschäft platzen ließ.
Von Rosen beschafft weitere Flugzeuge und stößt selbst im August wieder zu der kleinen Truppe, um weitere Piloten auszubilden. Mindestens sieben Schwarzafrikaner werden in aller Eile eingewiesen. Einziger Ausländer im Dienste der Biafran Air Force war zu diesem Zeitpunkt und bis zum Ende der Operation übrigens ein ehemaliger deutscher Luftwaffen-Pilot.
Trotz aller verzweifelten Anstrengungen (und zuletzt zweier fataler Abschüsse) konnten die Einsätze der „Biafra Babies“ das Ende der kleinen Republik zwar nicht aufhalten, erlaubten aber Dutzende von zusätzlichen Hilfsflügen. Mitte Januar 1970 erfolgte schließlich die Kapitulation.
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Graf von Rosen

Minicoin
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