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Erkenntnisse im Überflug
Die Methode ist unspektakulär: Ein kleiner Hochdecker, handelsübliche Kleinbildkameras und Sachverstand wirken zusammen. Die Ergebnisse jedoch können atemberaubend sein: Jahrtausende alte Siedlungsstrukturen, Kultstätten und Grabanlagen, längst vergangen und doch heute noch sichtbar. Luftbildarchäologie bietet alle Zutaten für eine nicht alltägliche, fast abenteuerlich anmutende praktische Anwendung der Allgemeinen Luftfahrt.
Von Robert Kluge
Die Sonne steht schon tief und läßt Bäume, Hügel und Gebäude lange Schatten werfen. Ruhig trägt uns die betagte Cessna über die niederbayerische Herbstlandschaft, während ihr Lycoming-Motor monoton vor sich hinbrummt. Doch ich bin gewarnt: Unvermittelt kann es passieren, dass Klaus Leidorf die Maschine in starke Schräglage versetzt, um eine auffällige Bodenstruktur näher zu inspizieren. Oft greift er dann zu Stift, Karte und Formblatt, um Einträge zu machen und anschließend fotografiert er, was er sah. Wieder und wieder summen die Winder seiner Kameras, Kleinbild, Mittelformat, analog, digital, mit und ohne Tele, farbig und scharzweiß.
Aus drei Komponenten setzt das Wort „Luftbildarchäologe“ sich zusammen, und (mindestens) drei Berufe vereint auch Klaus Leidorf auf sich - schon aus Kostengründen: Als Pilot erhebt er sich in die Luft, um als Fotograf Bilder zu machen von Objekten, die nur ein geschulter Archäologe überhaupt erkennt.
Leidorf, 1956 geboren, träumte wie so viele bereits als junger Mann davon, Linienpilot zu werden. Wie die meisten von ihnen wurde er es jedoch nicht und studierte zwischen 1975 und 1983 Theologie, Religions- sowie Vor- und Frühgeschichte in Marburg und Bonn. Ab 1985 war er dann als wissenschaftlicher Angestellter am bayerischen Landesamt für Denkmalpflege für Bodendenkmale zuständig.
Seit der Nestor der deutschen Luftbildarchäologie Otto Braasch, Starfighterpilot und Oberstleutnant a.D. 1980 begonnen hatte, in Bayern systematisch Luftaufklärung im Dienste der Geschichte zu betreiben, hatte sich die Zahl der Fundstellen dramatisch erhöht, und Leidorf bekam alle Hände voll zu tun. Braasch flog und fliegt freiberuflich – die oft spontane weil witterungsabhängige Entscheidung, ob geflogen werden soll, kann nämlich praktischer Weise nicht von schwerfällig funktioniernder Bürokratie abhängig gemacht werden, die sich per se jeder Form von Spontaneität entzieht. Aufgrund persönlicher Differenzen mit der Behörde orientierte Braasch sich ab 1988 wieder auf Baden-Württemberg und danach die Neuen Bundesländer - der Verlust seiner Sachkenntnis hätte für die bayerische Denkmalpflege, der durch ihn eine Pionierrolle auf dem Gebiet der Luftbildarchäologie zugefallen war, einen herben Einschnitt bedeutet.
So kam es, dass Leidorf, finanziert durch die Bayerische Gesellschaft für Archäologie, in Landshut den PPL machte und sich mit Braaschs Hilfe das nötige Rüstzeug für die sogenannte Flugprospektion aneignete.
Und dieses Know-How steckt vor allem in der Interpretation dessen, was die Böden zu unterschiedlichen Jahreszeiten offenbaren. Auf einen simplen Nenner gebracht läuft das Geheimnis darauf hinaus, dass ein vom Menschen verursachter Eingriff in den Boden im Prinzip irreversibel ist. Auch nach Jahrtausenden sind ehemalige Gräben, Fundamente, Palisaden, Wege und was noch zu einer kulturellen Infrastruktur gehört zu bestimmten Zeiten beispielsweise durch die unterschiedliche Wurzeltiefe von Getreidepflanzen erkennbar.
Treffen sie auf ein Hindernis wie etwa einen Mauerrest, wachsen sie nur kümmerlich, ein zugeschütteter Graben hingegen vermag mehr Feuchtigkeit zu speichern und lässt sie besser gedeihen. Andere Merkmale sind nur nach Schneefall und beim frühen oder späten Licht der tiefstehenden Wintersonne zu sehen. „Eine Ameise kann das Muster des Teppichs, auf dem sie sich bewegt, auch nicht erkennen“, veranschaulicht Leidorf das Prinzip. Diese feinen Unterschiede sind für ihn jedoch aus 150 bis 500 Metern Höhe als Struktur erkennbar, werden am Boden interpretiert und gegebenenfalls später durch eine Grabung verifiziert.
Allerdings sind leider auch diese „Ressourcen“ endlich, denn intensive Landwirtschaft mit tiefpflügender Technik zerstört immer mehr der verborgenen Hinweise, Zersiedelung und Straßenbau tun ein Übriges.
Auch Kurioses erlebt der mit behördlicher Erlaubnis zuweilen nur 150 Meter tief fliegende Luftbildarchäologe ab und an: So wähnte der Betreiber eines Holzlagers sich von der russischen Mafia ausgespäht und brachte den Piloten zur Anzeige. Einige Schnappschüsse konnten ihn jedoch beruhigen.
Ernsthafte Probleme ergeben sich aktuell verstärkt durch Etatkürzungen, obwohl es für die Archäologen kein effektiveres Hilfsmittel als die Flugprospektion gibt und die betreffenden Beträge sich lediglich im sechsstelligen Euro-Bereich bewegen. Die Trockenheit des Jahres 2003 war für archäologische Belange segensreich, konnte jedoch wegen der geringen Mittel bereits nicht optimal genutzt werden. Aber Geschichte hat eben leider keine Lobby, während die Wirtschaft natürlich nicht gebremst werden darf.
So kommt es, dass Klaus Leidorf sein ansehnliches Konto von über 7.000 Flugstunden nun zunehmend durch Flüge für industrielle Luftaufnahmen vermehrt: Bis zu einem Drittel machen diese derzeit aus, sind aber konjunkturbedingt ein wenig verlässlicher Beitrag zum freiberuflich erwirtschafteten Lebensunterhalt der sechsköpfigen Familie. Mehr Zeit für seine Frau, den sechsjährigen Sohn Max und die drei Großen (der Älteste ist übrigens auch mit der Fliegerei „infiziert“, er studiert Luft- und Raumfahrttechnik in Dresden) wäre jedoch auch als Gewinn zu verbuchen, denn das siebente „Familienmitglied“, die Cessna mit der Kennung „Delta-Quebec-Kilo“, trägt Leidorf und seine Kameras derzeit an manchen Tagen noch acht bis zehn Stunden am Stück durch den Freistaat.
Bayern jedoch droht erneut der Verlust von Kompetenz und Potential, aufgebaut durch den unermüdlichen Einsatz idealistischer Wissenschaftler. Denn trotz des zweitgrößten archäologischen Luftbildarchivs der Welt mit fast einer Million Aufnahmen von etwa 32.000 Fundstellen ist erst ein Bruchteil (man schätzt 20 Prozent) dessen bekannt, was der Boden uns an Erkenntnissen über unsere Herkunft nur aus der dritten Dimension zu offenbaren vermag. Auf kaum eine andere praktische Anwendung der modernen Fliegerei paßt ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry besser, vor bald achtzig Jahren in „Wind, Sand und Sterne“ abgedruckt: „Der Bauer ringt in zäher Arbeit der Erde immer wieder eines ihrer Geheimnisse ab, und dieWahrheiten, die er ausgräbt, sind allgültig. So stellt auch das Flugzeug, das Werkzeug des Luftverkehrs, den Menschen allen alten Welträtseln gegenüber und wird uns zum Werkzeug der Erkenntnis und der Selbsterkenntnis."
Zur Vertiefung: www.leidorf.de, http://aarg.univie.ac.at/
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Ironie der Geschichte: Ein kurzer historischer Abriß der Luftbildarchäologie zeigt überraschend, welch positive Rolle immer wieder Militärflieger bei der Entdeckung historischer Ruinen spielten, obwohl sie doch von Berufs wegen eher für neue Ruinen zuständig sind:
1906 erste (zufällige) Aufnahmen der steinzeitl. Kultanlage in Stonehenge aus einem Militär-Ballon durch Lt. P. Sharpe
1917 systematische Dokumentation archäol. Stätten in Syrien Palästina durch deutsche Militärflieger auf Veranlassung des Archäologen Th. Wiegand
1923 Vortrag „Flugprospektion und Archäologie“ von O.G.S. Crawford vor der Royal Geographical Society
1938 deutsch-britischer Kongreß und Ausstellung in Berlin „Luftbild und vor- u. frühgeschichtliche Forschung“
ab 1945 Bildarchiv an der Cambridge University unter Prof. J.K. St. Joseph
1965 Gründung der Air Photographs Unit of the National Monuments Record in London und Edinburgh
1980-1988 auf Veranlassung des Landesarchäologen R. Christlein befliegt Ex-Luftwaffen Oberstleutnant O. Braasch systematisch Bayern; dessen Erfahrung fließt ein in Prospektionsprojekte in anderen Bundesländern und ab 1990 dem Gebiet der ehem. DDR;
seither bedrohen in unschöner Regelmäßigkeit Etatkürzungen die Arbeit der Luftbildarchäologen
Alternative Methoden der Luftbildarchäologie
Da in vierzig Jahren DDR keine archäologischen Flüge stattfinden durften, mußte zuweilen schon einmal eine Feuerwehr-Drehleiter für „Luftaufnahmen“ herhalten.
Auch Satellitenaufnahmen und Bilder von regelmäßigen Befliegungen für geologische und geographische Belange können zur Identifizierung neuer Fundstellen herangezogen werden, sind u.a. aufgrund unterschiedlicher Maßstäbe jedoch nur bedingt tauglich.
In jüngster Vergangenheit kommen auch ferngesteuerte Modellflugzeuge („Drohnen“) als Plattform zum Einsatz.
Ein besonders faszinierendes Forschungsprojekt wird gegenwärtig in Armenien durchgeführt:
Militärische Stellen haben hier ein hohes Sicherheitsbedürfnis, und so muß das internationale Forschungsteam auf motorisierte Tandem-Gleitschirme, finanziert vom British Council mit entsprechend geringer Reichweite zurückgreifen.
Mehr hierzu unter http://www.archaeology.am/
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