Aerosalon MAKS |
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„Dergleichen gibt es nur hier!“ - das Flugwesen entwickelt sich Die Milizionäre, die trotz funktionierender Ampeln dieser Tage den Verkehr auf der Straße von Moskau nach Zhukovskij „regelten“ und dabei vor allem für permanente Vorfahrt sirenenbestückter Privat-Konvojs Sorge trugen, wußten das selbstverursachte Chaos bisweilen geschickt zu nutzen, um völlig verunsicherte Fahrzeuglenker streng zurecht zu weisen und gegebenenfalls abzukassieren. Anlaß für hoffnungslos verstopfte Straßen und überfüllte Vorortzüge war vom 19. bis zum 24. August das Mekka der russischen Luftfahrt, „MAKS 2003“ - der 6. „Moskauer Aero-Kosmischer Salon“. „Vater der vaterländischen Luftfahrt“ nennt man ihn den Gelehrten Nikolaj Zhukowskij (1847-1921) noch heute - ihm verdankt das Reißbrettstädtchen 50 km östlich von Moskau seinen Namen. Bis zu Beginn der Neunziger war das Zentrum der sowjetischen Luftfahrtindustrie eine sogenannte geschlossene Stadt, in die Unbefugte und vor allem Ausländer keinerlei Zutritt hatten. Und noch heute sind hier einst geheimnisumwitterte Institutionen wie das ZAGI, eine Art russische NASA, das Gromow-Flugversuchsinstitut und die Testpilotenschule untergebracht. Zudem haben Flugzeugbauer wie Tupolev oder Jakowlew hier ihre Hangars. Schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs begann an diesem Ort die Erprobung von Prototypen und Einsatzmustern für die sowjetischen Luftstreitkräfte, später durchliefen alle Protagonisten des Kalten (Luft)Kriegs diese Flugschule der besonderen Art: Jene gefürchteten Tupolevs, MiGs und Suchojs. Noch heute wird die mit über fünf Kilometern längste Rollbahn Europas für Erst- und Testflüge benutzt. Ausgerechnet im Allerheiligsten sowjetisch-russischer Geheimhaltung siedelten also Visionäre und Vorkämpfer des freien Handels mit der „Mosaeroshow“ 1992 die erste Messe ihrer Art in Rußland an - das ist etwa so, als wollte man auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien einen Ausverkauf amerikanischer Luftfahrt-Errungenschaften veranstalten. Das russische Konzept jedoch scheint aufgegangen zu sein - Zhukowskij war 2003 einmal mehr Schauplatz einer Leistungsschau der großen und kleinen Flugzeug- und Triebwerkshersteller aus den GUS-Staaten. An diesen Tagen zeigte man sich und es sollte offenen Mundes gestaunt werden. Daß sich das Flugwesen in Rußland entwickelt, ist spätestens seit Michail Sostschenkos Satire „Der Agitator“ aus den 20er Jahren bekannt. Daß die Entwicklung seit Ende der 80er Jahre eher gebremst verlief, dürfte ebenfalls kaum verwundern. Wie steht es nun aber aktuell um die einst mythenbefrachtete Prestige-Branche Luft- und Raumfahrt, die über Jahrzehnte als Integrationsmaschine eines ganzen Gesellschaftsystems funktionieren mußte? Was zeigen die Erben Tupolews und Iljuschins an Neuem, welches Gerät fliegen die Nachfahren der Rekordflieger Gromow und Tschkalow, der Kosmonauten Gagarin und Titow? Die Situation ist paradox: Das Exportgeschäft vor allem mit militärischem Gerät boomt. 2002 konnten 67 Flugzeuge und 100 Triebwerke im Gegenwert von 3,5 Mrd. Dollar vorrangig in Ländern Südostasiens abgesetzt werden. Damit sind die Produkte der Luft- und Raumfahrtindustrie neben Bodenschätzen einer der russische Exportschlager. Der Gesamtumsatz der Branche belief sich auf 4,9 Mrd. Dollar, 29 Prozent mehr als im Vorjahr. Auf der anderen Seite jedoch klagen russische Militärs und zivile Fluggesellschaften unisono über fehlende Mittel für dringend benötigte Neuanschaffungen. So konnten beispielsweise im Vorjahr nur neun zivile Großflugzeuge fünf verschiedener Typen an inländische Carrier ausgeliefert werden. Von 5.900 Passagierflugzeugen, die gegenwärtig im russischen Zivilluftfahrtregister eingetragen sind, zählen nur 71 zur neuesten Generation, und von denen wiederum stammen 49 von westlichen Herstellern. Seinerzeit beherrschten die Produkte des sowjetischen Flugzeugbaus ein Viertel des Weltmarktes. Nach 1991 kam es dann zu teilweise dubiosen Teilprivatisierungen, ein Hauen umd Stechen um winzige Marktanteile setzte ein und ist zum Teil bis heute zu beobachten. Die Regierung scheint das Problem der Zersplitterung des Industriezweiges mittlerweile erkannt zu haben. Bis 2006 sollen mehr als 300 Firmen auf höchstens ein Dutzend größerer Strukturen eingedampft werden; später sollen dann nur noch zwei Konzerne bestehen. Eindeutiger Gewinner des postsowjetischen Verteilungskampfes ist die Suchoj-Holding mit ihrem zwar diversifizierten, aber immer noch stark militärisch orientierten Produktportfolio. „Arbeiten wir gemeinsam“, stand folgerichtig am Ausstellungspavillon. Allerdings, so Generaldirektor Michail Pogosjan mit Blick auf sein eigenes Unternehmen, „muß Integration im Umfeld der erfolgreichsten Projekte stattfinden“. Viktor Livanov von Iljuschin schwebt eine russische Parallele zum erfolgreichen Airbus-Prinzip vor. Lippenbekenntnisse zu mehr innerstaatlicher Kooperation waren denn eine der Haupttendenzen des diesjährigen „MAKS“. Mehr Zusammenarbeit über Grenzen hinweg ist ein weiteres Ziel der Branche. Erste Gehversuche erfolgen bereits. Hydromasch aus Nizhnij Nowgorod wird das Fahrwerk für den europäischen Militärtransporter A400M bauen. Weitere Arbeitsbeteiligung würde erleichtert, so der Chef des europäischen Flugzeugbauers EADS, Rainer Hertrich, auf einer Pressekonferenz eher scherzhaft, wenn Rußlands Luftwaffe selbst sich zum Kauf des Fluggeräts entschlösse; wahrscheinlich jedoch ist keines von beidem. Mit Suchoj will EADS seit dem letzten Aerosalon im Juli in Le Bourget an einem Jagdflugzeug der „Fünften Generation“ arbeiten, Nachfolger für den Eurofighter und russische Suchojs und MiGs und ein gegenseitiger Vertrauensbeweis, der nicht hoch genug bewertet werden könne, so Hertrich. Angesichts der diesjährigen Waldbrände hat ein anderes EADS-Projekt beste Aussichten auf Erfolg: Die internationale Vermarktung des einzigartigen Feuerlösch-Flugboots Beriev-200, dessen erstes Serienexemplar kurz vor Eröffnung des Aerosalons an das russische Ministerium für Katastrophenschutz ausgeliefert worden war. Umso mehr erstaunte dann das plötzliche Verschwinden der Maschine bereits am vierten Ausstellungstag. Aus Herstellerkreisen wurde bekannt, daß sie nach einem direkten Telefonat zwischen Präsident Putin und dem italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi überraschend zu einer Leistungsdemonstration nach Süditalien beordert worden sei. Annäherung gibt es auch an ein Land, das im zivilen Flugzeugbau eigentlich ein ernstzunehmender Konkurrent ist: die Ukraine. Hier wurden bei den Antonow-Werken in Kiew erfolgversprechende und in Russland dringend benötigte Regionalflugzeugmuster konstruiert, die nun wahrscheinlich in beiden Ländern parallel in Serie gehen werden, um Arbeitsplätze zu sichern und Importzöllen zu entgehen. Die Vermeldung von Verkaufserfolgen ist traditionell nicht die Stärke der Moskauer Schau. Rekordbehaftet war daher der Verkauf mehrerer neuer Tupolev-Maschinen in dreistelligem Dollar-Millionenwert an verschiedene Leasingfirmen. Leasing stellt für die Fluggesellschaften in den meisten Fällen die einzig praktikable Variante der Flugzeugbeschaffung dar. Daß trotz allgegenwärtiger Miseren in Rußland Geld verdient wird, ist eine Binsenweisheit. Dollarmillionäre, aber auch potente Unternehmen, die sich Luxus leisten wollen und können, sind die Zielgruppe für die Umrüstbetriebe, die für das nötige Kleingeld gebrauchte Airliner in VIP-Jets verwandeln. Etliche musterhafte Exemplare dieser Spezies waren in Zhukowskij zu bestaunen, gleichzeitig bestach die Palette westlicher Muster der Firmen Cessna, Gulfstream und Pilatus bis hin zu Boeings Luxus-Jet BBJ auf Basis einer Boeing 737. Überhaupt waren die Amerikaner zumindest auf dem Vorfeld von allen ausländischen Vertretungen am stärksten präsent: Erstmals wurden auch einige F-15 und F-16 Jagdbomber, Versorgungsflugzeuge und sogar ein B-52 Bomber am Boden und in der Luft vorgeführt. Zwar war hier das Vertrauen nicht grenzenlos (nachts waren die Maschinen strahlend erleuchtet), aber ein Major der US Air Force machte darauf aufmerksam, daß die eigenen Wachmannschaften üblicherweise schwer bewaffnet seien. In der Tat trugen die Marines in Zhukowskij keine Waffen - vielleicht waren aber auch nur die „old fashioned“ Zollbestimmungen für deren Einfuhr zu streng. Die entsprechende Abfertigung durch Zollbeamte jedenfalls konnte bei der Landung der B-52 beobachtet werden. Dem Vernehmen nach ließ die Air Force sich den Besuch mehr als eine halbe Million Dollar kosten, einschließlich der benötigten Treibstoffmengen für die Flugschau. Neben vier russischen Jet-Kunstflugstaffeln waren erstmals auch Franzosen mit der „Patrouille de France“ und Italiener mit den „Frecce Tricolori“ vertreten. In den Vorjahren war es noch üblich, daß wie seinerzeit bei der Katastrophe von Ramstein das Publikum direkt überflogen werden konnte; ein Sicherheitskorridor verhinderte dies bei der aktuellen Veranstaltung weitgehend. Überhaupt wurde Sicherheit spürbar groß geschrieben: 50.000 Milizionäre und Soldaten waren im Einsatz, penible Gepäckkontrollen an der Tagesordnung, um befürchtete Attentate etwa tschetschenischer Rebellen zu verhindern. Am Eröffnungstag war deutlich spürbar, daß organisatorische Defizite hektisch aufgearbeitet werden sollten. Ausschilderungen fehlten, Kontrolleure waren hoffnungslos überfordert, Bauzäune und Telefonzellen längs der Hauptstraße zum Gelände wurden mitsamt den anhaftenden Plakaten in kreischenden Farben akribisch übermalt. Zusätzlich sorgte die Entourage Präsident Putins für Irritationen. Hatte der Besucher diese Hürden dann genommen, wähnte er sich allerdings zunächst auf der falschen Veranstaltung. Bunte Würstchenbuden, Bierzelte und Grillstände säumten den Weg zu Pavillons und Chalets, dazwischen trugen Heißluftballons interessiertes und zahlungskräftiges Publikum auf etwa 50 Meter Höhe, um ihm einen Überblick aus der Vogelperspektive zu verschaffen. Die militärischen Flugvorführungen waren der Publikumsmagnet schlechthin. Täglich donnerten die MiGs und Suchojs allein und im Verband über die Bahn und zeigten Flugfiguren, die an den Gesetzen der Aerodynamik zweifeln ließen. Tonnenschwere Jagdbomber blieben aus der Horizontalbewegung heraus plötzlich senkrecht in der Luft stehen („Cobra“ nennt sich diese Figur treffend), überschlugen sich auf der Stelle um ihre Querachse („Radschlagen“) oder taumelten scheinbar steuerlos durch die Luft. Ermöglicht wird all dies durch die Errungenschaften der Triebwerksingenieure: „Schubvektorsteuerung“ heißt ihr Zauberwort, und es ist keine Übertreibung, wenn man von russischer Führung auf diesem Gebiet spricht. Angefeuert vom überschwenglich pathetischen Moderator Gennadij Irejkin, einem Flieger-Helden Rußlands, der mit rollendem R auf immer neue Superlative und Einzigartigkeiten hinwies, fiel das Publikum von einem Begeisterungssturm in den nächsten. „Die ruhmreichen Recken der Luftstreitkräfte“, „die Besten der Besten“, „unsere“ flogen dort Flugzeuge, die „ohne Analogon“ teilweise „ihrer Zeit 30 Jahre voraus“ seien. Absurd wirkten die kurzen unkommentierten Phasen, wenn das Kriegsgerät lautstark Beethovens „Für Elise“ oder Steve Wonders „I just call to say I love you“ überdröhnten. Aber der Balsam versagte in seiner Wirkung auf die russische Seele nicht - mit Beifallsstürmen bekundeten die Zuschauer ihren Helden Respekt und Dank. Und auch der explizite Hinweis auf die in Tschetschenien bewiesene Praxistauglichkeit der Kampfhubschrauber störte niemanden. Die Veranstalter vergleichen den „MAKS“ gern mit den Messen in Le Bourget und dem englischen Farnborough - die deutsche „Internationale Luftfahrtausstellung“ in Berlin-Schönefeld wird eigenartigerweise totgeschwiegen, obwohl gerade dort doch stets eine starke Ausstellerpräsenz aus GUS-Staaten zu verzeichnen ist. Die ca. 600 Aussteller jedenfalls, davon ein Sechstel aus dem Ausland, waren mit dem Moskauer Ereignis recht zufrieden, hunderttausende Besucher (die offizielle Million ist eher mit Vorsicht zu genießen - sie verhilft der Veranstaltung zum selbst verliehenen Prädikat „Bedeutendster Aerosalon der Welt“) waren trotz hoher Eintrittspreise begeistert. Von drei „Fachbesuchertagen“ war nur einer verregnet: Robert Kluge
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